Gruppenbild vor der Dresdner Kaserne im ehemaligen Ghetto Terezin

Den Verbrechen der Nationalsozialisten auf der Spur – Unsere Bildungsfahrt nach Prag/Theresienstadt 2024

Nach der erfolgreichen Pilotexkursion im Juni 2023 führten wir auch in diesem Schuljahr wieder mit interessierten Schülerinnen und Schülern der Klassenstufen 9 bis 11 unserer Schule eine freiwillige geschichtliche Bildungsfahrt nach Prag und Theresienstadt unter dem Schwerpunkt der Verbrechen der Nationalsozialisten durch. Dabei boten wir unseren Schülerinnen und Schülern von Mittwoch, den 20. März 2024 bis zum Samstag, den 23. März 2024 ein umfangreiches Bildungsprogramm zum besagten Schwerpunkt sowie Exkurse zu weiteren geschichtlichen Themen an.

Nach dem Transfer von Leipzig nach Prag via Flixbus und dem kurzen Check-in im Hotel besuchten wir am Mittwochvormittag sogleich die Kapelle Sankt Cyrill und Method und die sich darunter befindliche Krypta – das tschechische Nationaldenkmal zu Ehren der Widerstandskämpfer um Jan Kubis und Josef Gabcik, die sich nach ihrem erfolgreichen Attentat vom 27. Mai 1942 auf den „Architekt des Todes“ Reinhard Heydrich, Hitlers Statthalter über das Protektorat Böhmen und Mähren, genau hier bis zu ihrem Verrat versteckten, dann jedoch von der SS gestellt wurden und in einem stundenlangen Feuergefecht am 18. Juni 1942 den Tod fanden.

Anschließend ging es nach einer Mittagspause weiter auf den Prager Petrin-Hügel, auf welchem sich das Strahov-Stadion befindet. Das größte Stadion der Welt mit einer Innenfläche von neun Fußballfeldern und Tribünen mit Platz für über 250.000 Zuschauer wurde ursprünglich für die Sokol-Bewegung gebaut, welche als tschechisch-slowakisches Pendant zur deutschen Turnbewegung des 19. Jahrhunderts um Turnvater Jahn betrachtet werden kann. Sokol wurde später unter den Nationalsozialisten verboten und das Strahov-Stadion von den Nazis für eigene Paraden, Aufmärsche und als Sammelort für verhaftete Juden genutzt.

Vor der Krypta der Kirche Sankt Cyrill & Method

In der Kirche Sankt Cyrill & Method

In der Kirche Sankt Cyrill & Method

Im Strahov-Stadion auf der Besuchertribüne

Von dort aus ging es für einen kurzen Exkurs in das Jahr 1989 zum berühmten „Genscher Balkon“ der Deutschen Botschaft. Zwei weitere Exkurse zum Prager Fenstersturz und zum Krönungsweg der böhmischen Könige folgten beim Passieren der Prager Burg und der malerischen Karlsbrücke auf dem Weg Richtung Straßenbahn zum Stadtteil Holovice.

Hier angekommen besuchten wir die originalen Schauplätze, an denen zur Zeit der Nationalsozialisten die fast 50.000 Prager Juden zunächst konzentriert und dann vom Bahnhof Bubny aus Richtung Bohusovice und schließlich nach Terezin (Theresienstadt) deportiert wurden, um von dort aus weiter in die Todeslager wie Auschwitz geschickt zu werden. Nur eine Gedenktafel von 1991 am ehemaligen Sammelort der Juden und eine Skulptur von 2015, ein 20 Meter in den Himmel ragendes Gleis ins Nirgendwo von Künstler Ales Vesely, genannt „Tor ohne Wiederkehr“, erinnert heute noch im stillen Gedenken am Bahnhof Bubny in einer sonst unscheinbaren Gegend an dieses Verbrechen.

Damit endete die geschichtliche Stadttour des ersten Tages und bereitete gleichzeitig auf den zweiten Tag vor, dem Besuch Theresienstadts. Das bis hierher Erlebte konnte nun beim gemeinsamen Abendessen individuell reflektiert werden.

Am „Genscher Balkon“ der Deutschen Botschaft in Prag

Gruppenbild auf der Karlsbrücke

An der Gedenktafel für die deportierten Prager Juden 1941-1945

Am Bahnhof Bubny am Denkmal „Tor ohne Wiederkehr“

Am frühen Morgen des zweiten Tages ging es nach einem kurzen Halt am Petschek Palais, dem ehemaligen Gestapo-Hauptquartier gegenüber des Prager Hauptbahnhofes mit dem Zug nach Bohusovice, dem Ort, an dem auch die Prager Juden ankamen, um dann zu Fuß nach Theresienstadt weiterzulaufen, bis die Nazis den Gleisanschluss bis nach Theresienstadt legten, um für weniger Aufsehen zu sorgen. Mit unserem Guide Lukas Lev liefen wir diesen originalen Weg von Bohusovice aus, den damals auch die Juden gehen mussten.

Dabei kamen wir am jüdischen Friedhof und dem Krematorium vorbei, in welchem die Toten von Theresienstadt verbrannt und anschließend „beerdigt“ wurden. Im ehemaligen Ghetto Terezin angekommen gelangten wir zunächst an einen Ort, an dem die Juden damals versuchten ihre Verstorbenen halbwegs würdig auf die „Beerdigung“ vorzubereiten, in dem man die meist ausgemergelten Körper noch einmal reinigte und ihnen ein wenig Würde zurückgab, bevor sie im Krematorium verbrannt wurden, was eigentlich nicht der jüdischen Bestattungstradition entspricht.

Danach führte uns Lukas Lev in der Straße des ehemaligen Gleisanschlusses in einen Raum in einem Hinterhaus, der von den Juden zur Zeit des Ghettos als eine Art improvisierte Synagoge genutzt wurde. Anschließend zeigte uns Lukas Lev einen Dachboden, den er selbst vor ein paar Jahren in einem Haus entdeckt hat, in welchem Juden zur Zeit des Ghettos Terezin an den Wänden Nachrichten hinterließen.

Nach einer Mittagspause begaben wir uns in die so genannte kleine Festung, dem Gestapo-Gefängnis für politische Häftlinge, aber auch für Juden aus Theresienstadt und darüber hinaus. Die Konzentrationslager ähnlichen Räumlichkeiten blieben dabei nicht ohne Wirkung bei uns allen.

Auf dem jüdischen Friedhof zwischen Bohusovice und Terezin

Lukas Lev erklärt die jüdischen Bestattungsrituale

Gedenktafel zu den Orten an welche die Juden von Terezin aus kamen

In der improvisierten Synagoge aus der Zeit des Ghettos Terezin

Auf dem von Lukas Lev entdeckten Dachboden

Am Gräberfeld vor der kleinen Festung

Ein Davidstern aus Gleisen von ehemaligen Bahngleisen nach Terezin

In einer Massenzelle für 600 Personen in der kleinen Festung

Zurück im Ghetto Terezin führten wir schließlich einen Video-Live-Call nach Queens in New York mit der mittlerweile 89-Jährigen Zeitzeugin Inge Auerbacher, die als Kind Theresienstadt überlebte. Wir konnten ihr vor der Dresdner Kaserne stehend an ihrem ehemaligen Unterbringungsort viele Fragen stellen, eine einmalige Gelegenheit für uns alle und eine beeindruckende Frau obendrein. Die Dresdner Kaserne selbst sollte auch noch für den folgenden Tag interessant werden, aber dazu später mehr.

Am späten Nachmittag passierten wir abschließend die ehemalige Ghetto-Torwache von Theresienstadt, an welcher noch heute Ritzungen mit verschiedenen Botschaften von Juden an den Wänden erhalten sind. Mit der Rückfahrt von Bohusovice nach Prag mit dem Zug und einem gemeinsamen Abendessen endete dieser sehr intensive zweite Tag.

Vor dem Block A mit weiteren Massenzellen in der kleinen Festung

Beim Live-Video-Call nach New York mit Zeitzeugin Inge Auerbacher

Gruppenbild vor der Dresdner Kaserne im ehemaligen Ghetto Terezin

Vor den Ritzungen an der ehemaligen Ghetto-Torwache

Der dritte Tag hatte nun zum Ziel, sich über einen weiteren Zugang auf die Spuren der Verbrechen der Nationalsozialisten zu begeben, dem Sport. Sporthistoriker Dr. Thomas Oellermann von der Friedrich Ebert Stiftung in Prag nahm uns hierfür auf eine historische Stadttour zum DFC Prag mit, dem zur Zeit der Nationalsozialisten verbotenen Fußballverein Deutscher Juden in Prag.

Direkt vor unserem Hotel begannen wir unsere Tour, da sich hier gegenüber ehemals ein Gewerkschaftshaus befand, bei welchem sich Juden, als es noch möglich war, Papiere besorgten, um Prag auf der Flucht vor den Nationalsozialisten zu verlassen. Weiter auf dem Wenzelplatz besuchten wir für einen kurzen Exkurs den Ort vor dem Nationalmuseum, an dem sich der Student Jan Palach 1968 aus Protest über die Niederschlagung des Prager Frühlings selbst verbrannte, um anschließend sofort wieder am ehemaligen Funkhaus des freien Radios Europa – Radio Liberty in die Zeit des Nationalsozialismus überzugehen, als sich hier die Wehrmacht in den umliegenden Straßen vor der anrückenden Roten Armee zurückzog und in schwere Kämpfe auch von Prager Widerstandkämpfern verwickelt wurde.

Anschließend fuhren wir in den Prager Osten zum Neuen Jüdischen Friedhof und zu den Wolschaner Friedhöfen, um mehrere Gräber berühmter Politiker, Schriftsteller, Journalisten und Sportler aufzusuchen, die zwar nicht alle in einer Verbindung mit der Zeit des Nationalsozialismus stehen, aber unseren Schülerinnen und Schülern die Gelegenheit boten, jene dennoch bedeutenden Personen vorzustellen. Der Reihe nach machten wir an den Gräbern von Egon Erwin Kisch, Vaclav Havel, Franz Kafka, Antonin Kalina, Frantisek Planicka, John William Madden, Jan Palach, Jiri Stanislav Guth-Jarkovsky, Klement Gottwald sowie Miroslav Tyrs halt. Kalina beispielweise gilt als Retter von über 900 Kindern vom KZ Buchenwald, Tyrs war Mitbegründer der Sokol-Bewegung und Franz Kafka der wohl bekannteste Jude auf dem Neuen Jüdischen Friedhof. Daneben mahnten auf jenem Friedhof beeindruckende Gedenktafeln zur Erinnerung an die Shoa, auf welchen überall Sterbedaten zwischen 1941 und 1945 zu sehen waren und die Sterbeorte wie Auschwitz, Treblinka, Sobibor, Dachau und viele weitere Namen von Konzentrationslagern sowie das Ghetto Terezin (Theresienstadt) enthielten. Außerdem suchten wir das Grab der Familie von Paul Mahrer, einem jüdischen DFC Prag Spieler, der Theresienstadt überlebte und im Ghetto eine Fußballliga mit organisierte. Mahrer ist auch im Propaganda-Film der Nationalsozialisten über Theresienstadt zu sehen, in welchem die Nazis in der Dresdner Kaserne eine frohes Fußballfest vor der Kamera inszenieren ließen, um der Welt mit unter anderem dieser Szene Theresienstadt als vermeintlich lebenswerten Ort für Juden darzustellen. Paul Mahrer ist einer der Spieler, die in dieser Filmsequenz zu sehen sind.

Am Grab von Vaclav Havel

Am Grab von Antonin Kalina

Am Grab von Miroslav Tyrs

Auf der Letna-Ebene vor dem Sparta Prag Stadion mit Thomas Oellermann

Danach ging es nach einer Mittagspause zurück Richtung Innenstadt auf die Prager Letna-Ebene, wo wir den Ort der historischen Spielstätte des DFC Prag besuchten. Die Letna-Ebene war allerdings damals ein multisportiver Ort, an dem sich auch die Spielstätten von Sparta und Slavia Prag befanden, darüber hinaus gab es hier unzählige Tennisplätze, eine Radrennbahn und vieles mehr. Heute ist davon nur noch das über 100 Jahre alte Sparta Prag Stadion erhalten, vor welchem stehend wir einen Exkurs in die heutige Zeit tätigten und über Antisemitismus und Rassismus im Fußball am Beispiel von Sparta Prag sprachen, die bis heute ihren Stadtrivalen mit „Jude Slavia“ Rufen diffamieren können, ohne Konsequenzen zu erfahren.

Schließlich ging es vorbei am Ort des ehemals größten Stalin-Denkmal, bis zu seiner Sprengung 1955 vom Letna-Hügel hinunter in die Josefstadt, dem ehemaligen jüdischen Viertel Prags. Hier suchten wir unter anderem das frühere Wohnhaus von DFC Prag Spieler Paul Mahrer auf und schlossen unsere Tour schließlich am ehemaligen Sportartikelgeschäft von DFC Prag Spieler Emmerich Rath unweit vom früheren Deutschen Haus in Prag ab, der beispielsweise einem Juden zur Flucht nach Schweden verhalf.

Am Abend nahmen wir zum Abschluss den Weg zur Trainingsstätte des SK Dablice im Prager Norden auf uns, um die Auswahlmannschaft der Deutschen Minderheit bei ihrem zweiten Training in Vorbereitung auf die Europameisterschaft der Amateure für nationale Minderheiten, der Europeada, zu beobachten. Das Besondere, die Tschechische Republik ist dieses Jahr 2024 erstmals eingeladen und in der Auswahlmannschaft sind heutige Spieler des 2016 wiedergegründeten DFC Prag mit dabei. Außerdem ist der Trainer der Auswahl der heutige DFC Prag Trainer. Somit konnten wir quasi eine Art Bogen aus der Vergangenheit in die Gegenwart ziehen, auch wenn wir freilich keinem Profitraining beiwohnten. Es war dennoch ein gelungener Abschluss unseres dritten Tages im Zeichen des Sports und darüber hinaus. Den Abend ließen wir sodann beim gemeinsamen Abendessen ausklingen und kehrten anschließend ins Hotel zurück.

Gruppenbild auf dem Letna

Vor dem Wohnhaus von Paul Mahrer im ehemaligen jüdischen Viertel Prags

Vor dem ehemaligen Sportartikelgeschäft von Emmerich Rath

Beim Training der Europeada Auswahlmannschaft

Mit unheimlich vielen neuen Informationen, Erlebnissen und Eindrücken im Gepäck fuhren wir am vierten Tag etwas erschöpft und gleichzeitig dankbar für die ereignisreichen Tage zurück nach Leipzig. Im Kopf und im Herzen bleibt eine Bildungsfahrt, die sich bei allen Anstrengungen für alle mehr als gelohnt hat, weshalb wir diese auch im nächsten Schuljahr wieder anbieten wollen. Wenn ihr nach dem Lesen dieses Berichts und dem betrachten der ersten Bilder (eine ausführliche Fotodokumentation ist in Arbeit) nun vielleicht bereits jetzt Interesse an einer Teilnahme habt und im nächsten Schuljahr mindestens die Klassenstufe 9 besucht, dann meldet euch sehr gerne bei Herrn Venus und Frau Asmus.

Bleibt interessiert, für Geschichtskultur und gegen Vergessen und Ignoranz!

Robert Venus & Christina Asmus
Projekt-Leitung und -Koordination